Creative Commons License 'Dein Leben ist Tetris. Hör auf es wie Schach zu spielen.' von Jochen Wienstroth steht unter einer Creative Commons: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Dein Leben ist Tetris. Hör auf es wie Schach zu spielen.

Vor einiger Zeit fand ich bei fefe diesen Hinweis auf einen angeblich sehr lesenswerten Artikel. In diesem Artikel geht es um den Vergleich zwischen Tetris und Schach und darum dass die Herausforderungen die uns das Leben täglich stellt eher mit dem Spiel Tetris und weniger mit dem Spiel Schach vergleichbar sind.

Der Originalartikel von Tor Bair heißt Your life is Tetris. Stop playing it like chess. Im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung für Pfadfinder habe ich ihn mal in einer Nacht- und Nebelaktion übersetzt und ihn als Denkanstoß mit in die Nach(t)gedanken eingebaut.

Da mich der Artikel sehr beeindruckt hat und auch einige positive Rückmeldungen von den anderen Teilnehmern kamen habe ich mir gedacht ich setze diese Übesetzung mal online, vielleicht bereitet sie auch anderen Menschen Freude.

Die Übersetzung ist in kürzester Zeit "zwischen Tür und Angel" hingehackt von einem Non-Native-Speaker, und sie ist eher "inhaltlich sinngemäß" und nicht an allen Stellen wortwörtlich. Wer Vorschläge für bessere Formulierungen hat: Ich bin dafür wirklich EXTREM dankbar und nehme diese gerne unter der im Impressum angegebenen Mailadresse entgegen.

Jetzt aber viel Spaß beim Lesen!


Your life is Tetris. Stop playing it like chess.

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Seit ich 7 Jahre alt bin spiele ich regelmäßig und auch in Wettbewerben Schach. Ich habe in der Schule gespielt, online, und auch in nationalen Wettbewerben. Schach hat mich Geduld gelehrt, Durchhaltevermögen, kritisches Denken - wichtige Fähigkeiten um mit den schwierigen Problemen und Situationen klarzukommen mit denen das Leben aufwartet.

Schach hat mich früh dazu geprägt in Abhängigkeiten zu denken: Wenn ich meine Figur hierhin setze dann blockiere ich seine Figur dort. Schlage ich jene Figur von ihm dann schwäche ich seine rechte Seite. Jeder richtige Zug bringt mich näher an ein Schachmatt, jeder falsche Zug bringt mich näher an eine Niederlage.

Schach hat außerdem die Idee des Gegners eingeführt. Schwarz gegen weiß. Unsere Schule gegen ihre. Und jedes Spiel war hinterher endgültig entschieden. Ich habe bis zum Alter von 15 Jahren ernsthaft Schach gespielt, ungefähr zu dieser Zeit bekam ich auch mein erstes Handy. Dieses Handy war ein wichtiges Zeichen der Freiheit für einen Teenager, obwohl es nicht wirklich nützlich war. Ich erinnere mich noch gut daran - ein einfaches Klappmodell mit Farbbildschirm. Ich habe es überall hin mitgenommen als Zeichen meiner Unabhängigkeit. Es konnte nicht ins Internet, es konnte nicht chatten, aber es konnte Langeweile verschwinden lassen mit dem einzigen Spiel, das im Lieferumfang war: Tetris. Und ich wurde süchtig.

Für Einige ist Tetris die Personifizierung von Frust. Es wiederholt sich ständig. Es ist unmöglich zu gewinnen. Es ist abhängig von Glück und Zufall. Aber für mich wurde es das beste Sinnbild für das Leben an sich. Im Vergleich dazu ist Schach nur ein albernes Kriegsspiel.

Seit dieser Zeit spiele ich nicht mehr regelmäßig Schach. Aber bis heute ist Tetris das einzige Spiel auf meinem Mobiltelefon. Es liegt immer auf dem Startbildschirm - als ständige Erinnerung daran, dass das Leben Tetris ist und nicht Schach.

Ich möchte diese Unterscheidung in vier einfachen Punkten aufzeigen. Vielleicht hast du bis heute das Spiel auch falsch gespielt.

1.) Im Leben ist dein einziger Gegner du selbst.


Während ich aufwuchs suchte ich ständig Gegner: Menschen gegen die ich kämpfen musste, Menschen die schuld waren, Menschen die offensichtlich falsch lagen. Ich habe alles so behandelt als gäbe es nur Sieg oder Niederlage wo es doch so viel mehr zu erreichen gab.

Das ist das Setting von Schach. Und es hemmt dich.

Bei Tetris spielt man nur gegen die Zeit und die niemals endende Flut von Teilen die von oben nach unten fallen. Man ist völlig auf sich selbst fokussiert damit beschäftigt einen zufällig aufeinander folgenden Strom von Teilen in die richtige Ordnung zu bringen. Es gibt keinen Endgegner. Es gibt niemanden, dem man die Schuld zuweisen kann.

Das Spiel des Lebens spielst du nur mit dir selbst. Es gibt keine großen bösen Feinde die dich leiden sehen wollen. Es gibt keinen richtigen oder falschen nächsten Zug mit dem du einen Gegner bestrafen kannst. Und dein Punktestand kann unendlich werden, du musst es nur intensiver versuchen. Dein Punktestand kann langsam oder schnell wachsen, je nachdem wie sehr du dich bemühst. Was uns zum nächsten Punkt führt:

2.) Im Leben werden die Herausforderungen nicht schwieriger - nur die Abfolge schneller.

Einige Spiele werden schwerer je länger du sie spielst. Die Positionen werden komplizierter, die Gegner herausfordernder, die Einsätze höher. Du hast ein Rating und mehr zu verlieren wenn du nochmal gegen den gleichen Gegner spielst.

Nicht bei Tetris. Das Spiel bleibt immer das Selbe - vom ersten Stein bis zu dem Punkt an dem kein Platz mehr auf dem Bildschirm ist. Das Einzige was sich ändert ist die Geschwindigkeit.

Wenn man sein Leben lang Tetris immer in der gleichen langsamstmöglichen Geschwindigkeit spielen würde dann wäre der einzige Feind die Erschöpfung. Die Taktik Tetris zu schlagen ist nicht kompliziert, und man hätte reichlich Zeit die Teile in die richtigen Positionen zu schieben.

Bei Tetris fordern wir uns selbst heraus. Wir sind nicht damit zufrieden einfach nur die unterste Reihe aus dem Schirm rutschen zu sehen. Wir wollen ein Tetris erreichen - vier Reihen gleichzeitig. Deswegen heißt das Spiel so. Warum sollten wir überhaupt spielen wenn nicht um dieses Ziel zu erreichen?

Ich habe das Leben lange Zeit wie Schachpartien behandelt: Eine Folge von immer schwerer werdenden Herausforderungen. Ich habe Probleme gesehen wo keine waren und mir das eine oder andere Mal eine Opferrolle gesucht. Aber genaugenommen wird das Leben nicht schwerer je länger man es spielt. Je älter wir werden umso mehr Geld und Einsicht sammeln wir an. Unsere Unabhängigkeit wird täglich größer. Wir müssen keine neuen Herausforderungen annehmen wenn wir das nicht wollen. Aber wir suchen Erfüllung - also tun wir es trotzdem häufig.

Das Leben wird allerdings immer schneller. Jeder Tag den wir leben ist ein kleinerer Prozentteil unseres Lebens, und jeden Tag haben wir das Gefühl die Zeit würde immer schneller vergehen. Unsere Verantwortung wächst und wächst bis zu dem Punkt an dem uns Dinge, die Spaß machen sollten erscheinen wie nervende Pflichten oder sinnlose Abschweifungen.

Die einzige Art das Leben genauso wie Tetris zu meistern liegt darin immer mit der gleichen Aufmerksamkeit zu spielen trotz ständig höher werdender Geschwindigkeit. Du kannst es dir nicht erlauben deine Ziele aus dem Blick zu verlieren - egal mit welcher Geschwindigkeit du dich gerade bewegst. Du musst deine eigene Sichtweise unter Kontrolle behalten, dein eigenes Verhalten, und deine eigene Zeit. Was uns zum nächsten Punkt bringt:

3.) Du hast keine Kontrolle über das Spielbrett.

Wie ich vorhin schon erwähnt habe ist Schach ein Spiel von Abhängigkeiten. Es gibt einen bestmöglichen Zug für so ziemlich jede Kombination von Figurenpositionen. Du kannst deinen Gegner in eine Ecke drängen. Wenn du gut und ein Supercomputer bist dann kannst du 20 Züge in die Zukunft sehen.

Schach bringt eine Menge Regeln und Vorbedingungen mit. Für jede Figurenkombi gibt es empfehlenswerte Züge die man auswendig lernen kann. Schach ist ein geschlossenes System. Es gibt keinen Zufall, es gibt kein Glück, es gibt kein Pech. Die Figuren sind immer die gleichen, die Startpositionen sind immer die gleichen.

Bei Tetris weißt du nur welches Teil als nächstes kommt. Du spielst den Moment, der jetzt gerade stattfindet, versuchst die bestmögliche Anordnungen von Teilen für die aktuelle Situation zu finden und weißt dass es unmöglich ist auch nur zu erahnen was in Zukunft auf dich zukommen wird. Du denkst nicht mal daran dass es möglich sein könnte zu kontrollieren was auf dem Spielbrett passiert.

Ich habe eine erschreckend lange Zeit meines Lebens im Schach-Mindset verbracht und darüber gebrütet was die bestmögliche Kombination an Zügen auf ein bestimmtes Ziel hin sein könnte. Ich war fest davon überzeugt dass alles um mich herum nur eine Abfolge von Abhängigkeiten wäre und dass ich Kontrolle über die Situation erlangen könnte.

Aber das richtige Leben ist keine Abfolge von Abhängigkeiten. Es gibt immer eine ganze Reihe von Möglichkeiten was als nächstes passieren könnte. Die Wahrscheinlichkeit dass genau das passiert was ich erahne ist verschwindend gering. Es gibt keine sicher vorhersehbare Reaktion auf meine Aktionen. Unsere Leben sind offene Systeme, bei denen es eine unüberschaubar große Anzahl von möglichen Ereignissen gibt die Alles in nur einem Moment verändern können. Auch die größten Entscheidungen die wir in unserem Leben treffen haben keinen vorhersehbaren Ausgang - deswegen enden so viele Ehen in Scheidung.

Versuch gar nicht erst zu überlegen was für Teile als nächstes auf dich zukommen könnten wenn du deine Situation verbessern willst. Wie bei Tetris kannst du nur versuchen dich in die jeweils bestmögliche Ausgangssituation zu bringen anstatt zu versuchen das Spielfeld zu kontrollieren. Versuch wirklich mit allen Mitteln dieses Tetris zu erreichen - aber erwarte nicht diese Chance wirklich zu bekommen nur weil du es versucht hast. Und denk immer daran:

4.) Im Leben sagt dir niemand wann du gewonnen hast.

Bei Schach siehst du irgendwann wie der König deines Gegners fällt und er aufgibt. Du siehst den Endpunktestand irgendwo angeschrieben. Du fühlst die Überlegenheit des Siegs - bis du eines Tages die andere Seite hast.

Ich erinnere mich an den Tag an dem ich mit dem Schachspielen aufgehört habe. Ich wurde nicht geschlagen, ich habe nicht frustriert aufgegeben. Erstaunlicherweise war es sogar eine Partie die ich gewonnen habe. Und danach fühlte ich: Nichts.

Wenn es nach den jahrtausendealten Regeln für Schach geht gibt es nur zwei Möglichkeiten zu verlieren: Schachmatt oder Aufgabe. An dem Tag, an dem ich aufgehört habe Schach zu spielen fand ich eine dritte: Wenn ich beim Spielen nichts lernte, wenn ich weder die Kämpfe noch die Siege genießen konnte - dann hatte ich schon verloren.

Die Entscheidung aufzuhören war befreiend, erschreckend und verwirrend. Warum fühlte ich mich so frei nachdem ich eine meiner ersten großen Lieben aufgegeben hatte? Aufhören fühlte sich aus dem gleichen Grund gut an aus dem das Anfangen sich gut anfühlte: Es war ausschließlich meine eigene Entscheidung. Und mit dieser Entscheidung wurde mein wettbewerbsorientiertes und abhängigkeitsgetriebenes Weltbild schwächer und meine Perspektive änderte sich.

Im gleichen Moment begann Tetris die entstandene Spiel-Leere zu füllen. Ich spielte jeden Tag Tetris, und jedesmal wenn ich anfing wusste ich schon dass ich verlieren würde. Wie lange würde es diesmal dauern bis ich verliere? Wie schnell werden die Teile von oben herunterfallen? Wieviel Punkte werde ich wohl schaffen? Das sind die Dinge, die bei Tetris zählen.

Ich schaffte es dem Spiel eine Möglichkeit zu gewinnen hinzuzufügen: Ich gewinne, wenn ich JEDEN TAG Tetris spiele.

Ich habe Spaß daran ziemlich unnachgiebig wieder und wieder Ziele für mich und mein Leben zu setzen. Ich ziehe eine große Befriedigung daraus dass ich weiß: Ich habe mir ein Ziel gesetzt und ich kann dieses Ziel jeden einzelnen Tag angehen. Ob ich dieses Ziel erreiche weiß niemand außer mir selbst.

Jeden Tag Tetris zu spielen erinnert mich daran immer auf mein Ziel fokussiert zu bleiben, immer mit der gleichen Konzentration zu spielen, durchzuhalten auch wenn ich nicht weiß was auf mich zukommt.

Und ich spiele nicht um zu gewinnen - ich spiele um zu spielen.

Wir alle sollten das Leben um des Spielens willen spielen. Wir sollten nicht ständig Feinde suchen oder versuchen alles unter Kontrolle zu bekommen.

Wir sollten verstehen, dass das Alles einfach eine Frage der Perspektive ist. Schach kann ein sehr einsames Spiel sein, Tetris auch. Beide benötigen Geduld und Zielstrebigkeit. Für Beide muss man im Kopf ziemlich flexibel sein.

Du allein musst die Wahl treffen wie du dein Leben spielen möchtest. Versuche das richtige Spiel zu spielen.


Creative Commons License 'Dein Leben ist Tetris. Hör auf es wie Schach zu spielen.' von Jochen Wienstroth steht unter einer Creative Commons: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Letzte Änderung: 2016-04-29 JWie